Der White-Stripes-Hit «Seven Nation Army» feiert sein 20-Jahre-Jubiläum (2024)

Vor zwanzig Jahren erschien der grösste Hit des amerikanischen Rock-Duos The White Stripes. Der Titel hat nicht nur die Charts erobert, sondern auch die internationalen Sportstadien.

Frank Schäfer

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Der White-Stripes-Hit «Seven Nation Army» feiert sein 20-Jahre-Jubiläum (1)

In der Geschichte der Rockmusik folgen auf Phasen der Verfeinerung und der klanglichen Differenzierung meist Rückgriffe auf einfachere Formen. Und als der Rock’n’Roll um die Jahrtausendwende in Hybride wie Emocore, Post-Grunge und Nu Metal zu zerfransen drohte, war es wieder einmal Zeit, sich auf bewährte Qualitäten zu besinnen: auf kantige Riffs, harte Beats und verständliche Geschichten.

Detroit ist der Ort, in dem der geradlinige Rock stets von neuem den Ton angibt. Hier wird das Banner der Einfachheit hochgehalten, wann immer woanders an der Sublimation geköchelt wird. In den Industriebrachen der abgewirtschafteten Motor City stehen seit Jahrzehnten genügend Hallen leer für junge Bands. Auch Ende der neunziger Jahre ist die Garagenrockszene hier deshalb gross und bunt.

Reduzierte Rockmusik

The White Stripes gelten zunächst bloss als eine Band unter vielen. Meg und Jack White aber haben Spass an lauter Musik. Ihr Sound folgt allerdings nicht nur der Intuition und ihrer bald offenkundigen Musikalität. Sie sind auch schlau genug, ihren Rock-Reduktionismus durch das passende Image zu ergänzen. Sie stellen sich in eine ästhetische Tradition, die Freiheit und Spiritualität in der gewollten Beschränkung sucht. «De Stijl» heisst ihr zweites Album – damit nehmen sie Bezug auf die holländische Kunstbewegung der 1920er Jahre, die ihre Farbpalette reduziert und nur gerade Linien verwendet hat.

Auch die White Stripes üben sich in Verzicht. Sie lassen den Bass weg, nutzen nur die Farben Schwarz, Weiss, Rot für Outfit und Covergestaltung. Und sie erzählen in einer simplen Sprache simple Storys voller Leerstellen und Geheimnisse. Meg Whites Drumming orientiert sich am stampfenden Fuss des Bluesman; und Jack White profiliert sich als Working-Class-Hero des Gitarrenspiels. Die Simplizität ist offenbar ein durchdachtes Programm – aber sie wirkt schlüssig und suggestiv.

Der White-Stripes-Hit «Seven Nation Army» feiert sein 20-Jahre-Jubiläum (2)

Als ihr drittes, in drei Tagen zusammengenietetes Album «White Blood Cells» durch die Decke geht und sie einen Deal mit dem Major-Label V2 an Land ziehen, ist plötzlich Geld da für eine üppigere Produktion. Die erklärten Minimalisten lassen es sich jetzt richtig gutgehen und mieten sich für immerhin anderthalb Wochen in den Londoner Toe Rag Studios ein. Im April 2003 erscheint dann das Album «Elephant» und Anfang März bereits die erste Single-Auskopplung: «Seven Nation Army». Ganze 37 Wochen wird sie in den «Billboard»-Charts – Abteilung «Modern Rock Tracks» – bleiben, drei Wochen davon auf Platz eins.

Der Titel «Seven Nation Army» geht darauf zurück, dass Jack White als Kind «Salvation Army» nicht richtig verstand und in «Seven Nation Army» ummünzte. Musikalisch liess er diese Kinderphantasie in einer Sieben-Noten-Form aufmarschieren. Ein einziger Riff in verschiedenen Aggregatzuständen, unterbrochen nur von einer Bridge.

Worum geht es in dem Song? Der Song handle von Tratsch, lässt Jack White später verlauten, von einem Typen, über den sich seine Familie und seine Freunde das Maul zerrissen. Das versetze ihn derart in Rage, dass er seine Stadt verlassen wolle. Ein bisschen treibt die profane Erläuterung dem Song die Poesie aus. Denn eigentlich erzählt der auch von einer mythischen Zeit und dem mythischen Ort Wichita, den man nur durch einen ziemlichen Ritt westwärts erreicht: «I’m going to Wichita. I’m gonna work the straw. Make the sweat drip out of every pore...» – er werde nach Wichita gehen, Korn dreschen und den Schweiss aus jeder Pore tropfen lassen, heisst es.

Jack White schlägt hier einen grossen Bogen von dem Freiheitsfetisch und der Rebellenattitüde der Rocker zum Leidenspathos und Verzweiflungslamento der alten Blueser. Und es ist vermutlich gerade die Vieldeutigkeit, die diese Verse so suggestiv wirken lässt. Jeder und jede kann etwas Individuelles in sie hineinlesen.

Für die unglaubliche Karriere des Songs spielen die Worte jedoch bald keine Rolle mehr. Auch die Instrumente nicht. Denn das Riff-Mantra lässt sich auch durch die Kehlen besoffener Fussballfans reproduzieren. Der Legende nach zeigt sich das zum ersten Mal in einer Mailänder Bar am 22.Oktober 2003.

Der FC Brügge spielt in der Gruppenphase der Uefa Champions League gegen die AC Milan. Brügge gilt als Underdog und darf sich nicht viel ausrechnen im Giuseppe-Meazza-Stadion. Deshalb trinken sich die mitgereisten Ultras bis zum Spiel ordentlich Mut an. Die Stimmung wird lockerer, vielleicht geht ja doch was. Irgendwann tönt «Seven Nation Army» durch die Kneipe. Und die Brügge-Fans erkennen sofort die Gröl-Tauglichkeit des Rocksongs.

Kein Wunder, gewinnen die Belgier mit der Kraft dieses Jahrhundert-Riffs im Rücken das Spiel dann doch. Auch weil die Mailänder eine Chance nach der anderen versieben, während der Peruaner Andrés Mendoza noch vor der Pause einen schnellen Konter von Brügge mit dem Aussenrist ins rechte obere Eck katapultiert. Und die belgische Reisegesellschaft kanalisiert den Siegestaumel im gemeinsamen Absingen der gerade erst erlernten White-Stripes-Melodie: «OHH – oh-OH-oh oh – OHH – OHH.»

Einige Zeit später, am 15.Februar 2006, gastiert die AS Roma in Brügge. Es ist das Hinspiel der dritten Runde im Uefa-Cup. Die römischen Fans erfreuen sich an den Gesangskünsten auf der anderen Seite der Arena, und weil sie das Spiel auch noch 1:2 gewinnen, ahmen sie entsprechend gutgelaunt die gegnerischen Chöre nach. Ein bisschen Häme ist auch dabei.

Jetzt kommt es zu einem Re-Import. Die Römer nehmen den triumphalen «field holler» mit nach Hause, von wo aus er sich später in ganz Italien verbreitet. Bei der Weltmeisterschaft in Deutschland im selben Jahr stärken die italienischen Fussballfans ihrer Nationalmannschaft den Rücken mit der «Seven Nation Army».

Ein Song für alle

Und jetzt bekommt auch Jack White Wind davon. Er fühle sich geehrt, dass sich die Italiener den Song zu eigen gemacht hätten, zitiert ihn der «New Musical Express». Nichts sei schöner in der Musik, als wenn sich Menschen eine Melodie zu eigen machten und ihr dadurch erlaubten, in den Pantheon der Volksmusik einzugehen. Er finde es toll, dass die meisten Leute gar nicht wüssten, wo die Melodie herkomme. «Das ist Folk», sagte er lakonisch.

Was dann auch noch passierte, wird er vielleicht weniger wohlwollend zur Kenntnis genommen haben. Die Uefa benutzt «Seven Nation Army» bei der Fussball-Europameisterschaft in Österreich und der Schweiz als Score für den Einlauf der Gladiatoren. Immerhin landet der Song so fünf Jahre nach seiner Erstveröffentlichung noch einmal in den deutschen Singlecharts.

Verschiedenste Vereine integrieren ihn nun in ihre Stadion-Liturgie, als Tor-Hymne vor allem. Und längst findet er auch in anderen Sportarten Verwendung, beim American Football, beim Eishockey, bei Formel-1-Rennen. So zeigte sich auch die Schattenseite des Ruhms, die der Song selbst skizziert: Den Grosserfolg zahlen die White Stripes durch die totale Vereinnahmung des Big Business.

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